Mikrotransitionen im Alltag partizipativ gestalten

Dimitri kommt am Morgen in die Kita. Er klammert sich fest an seinen Vater Robert. Dimitri ist nun 12 Monate alt und kann Handlungsabläufe schon sehr gut vorsehen. Er weiss, dass er sich bald von seinem Vater verabschieden muss. Dimitri, sein Vater und die entgegennehmende Erzieherin Judith befinden sich in einer Mikrotransition. Unter Mikrotransitionen sind die Übergangssituationen im Alltag zu verstehen, die von Bezugspersonen und Kindern durchlebt werden. Alltagsübergänge sind oft eine grosse Herausforderung für die Kinder und können starke Stressoren sein.

Wie eingangs erwähnt, kann Dimitri Handlungsabläufe nun schon gut voraussehen. Wiederkehrende Handlungsabläufe werden in der Pikler-Pädagogik auch als Scripts beschrieben. Scripts sind Handlungsabläufe, welche immer ähnlich verlaufen. Sobald das Kind die Handlungsabläufe versteht, wird es beginnen diese mitzugestalten und je nach Alter sogar zu verändern. Diese Tatsache ist der Grundbaustein um überhaupt partizipativ mitgestalten zu können.

Um Dimitri möglichst viel Partizipation zu ermöglichen, kommt Robert mit in den Gruppenraum und begibt sich mit Dimitri auf Kinderhöhe. Auch Judith gesellt sich dazu und spricht mit Dimitri und Robert. Ein erster Kontakt entsteht. Noch immer sucht Dimitri die Körpernähe seines Vaters. Judith bietet Dimitri ein Spielzeug an. Auch Paula, Dimitris Schwester, ist dabei und spricht mit Dimitri. Ein erstes Lächeln huscht über Dimitris Gesicht.

Was ist gerade aus partizipativer Sicht geschehen: Dadurch, dass sich Robert, Paula und Judith auf Kinderhöhe begeben haben, wird die ganze Situation auf die untere Raumebene verlagert. Dimitri ist hier nicht abhängig von den Erwachsenen, sondern kann nun selber entscheiden, wann er bereit ist, sich zu lösen.

Nun wird erst einmal gesprochen und ein Kontakt hergestellt. Judith bietet Dimitiri Spielmaterial an, was ihm eine Wahlmöglichkeit gibt. Eine Aussicht, auf was er sich freuen kann. Robert unterstützt Judith dabei und lässt das angebotene Xylophon erklingen. Dimitris Interesse ist geweckt. Nun ist er bereit, sich von seinem Vater zu lösen. Er sitzt neben ihm und beginnt damit die Korken in eine Flasche zu füllen. Sein Blickkontakt ist nun Judith gegenüber offen, welche den Blick, sowie das Lächeln responsiv beantwortet. Dimitri hat nun mehrere Punkte schon mitgestaltet.

·      Blickkontakt und Lächeln annehmen und erwidern

·      Sich auf ein Spiel einlassen

·      Sich vom Vater lösen

Langsam wird es Zeit, dass sich Robert verabschiedet. Dimitri erhält diese Information. Auch das Ankündigen von Ereignissen ist ein wesentlicher Punkt in der partizipativen Arbeit. Dimitri reagiert erst nicht. Als er merkt, dass Paula und Robert aufstehen und ihm zum Abschied winken, beginnt Dimitri zu weinen. Judith ist für ihn da und nimmt ihn tröstend in den Arm. Sie benennt noch einmal, dass der Vater nun arbeiten geht und er in der Kita ist. Sie benennt seine Gefühle und zeigt ihm das zuvor begonnene Spiel. Dimitri entschliesst sich dazu, sich wieder diesem zu widmen.

Mitgestaltung von Alltagssituationen bedeutet nicht, alles bestimmen zu dürfen. Dimitri hat in dieser Situation keinen Einfluss darauf, ob der Vater zur Arbeit gehen muss oder nicht. Aber das «wie» kann er Mitbestimmen. Dazu gehört auch, dass er traurig sein darf, wenn Robert und Paula sich verabschieden. Das wiederkehrende Script des Ankommens in der Kita ermöglicht Dimitri im Laufe der Zeit immer mehr Mitgestaltung. Sich handlungsfähig zu fühlen und einer Situation nicht ausgeliefert zu sein, verhindert, dass Dimitri in keinen disregulierten emotionalen Zustand gerät. Dies wird deutlich, in dem er zwar Trauer über den Abschied äussert, doch innerhalb weniger Sekunden gleich wieder zurück in sein Spiel geht.

Vielleicht läuft er bald selbständig in die Kita oder winkt seinem Vater zum Abschied. Wir werden sehen, was Dimitri daraus macht.

Verfasserin: Marie-Christine